Von einer reinen Effizienzprüfung zur Effektivitätsprüfung der Gremienarbeit
ECBE-Beitrag in Der Aufsichtsrat zur Einbeziehung von Performance-Indikatoren in die Effizienzprüfung
Von einer reinen Effizienzprüfung zur Effektivitätsprüfung der Gremienarbeit
Die Einbeziehung von Performance-Indikatoren in die Effizienzprüfung unterstützt den Aufsichtsrat
dabei, notwendige Handlungsfelder zur Verbesserung der Gremienarbeit zu erkennen. Eine Ergebniseinordnung
anhand von Referenzwerten erlaubt dabei eine bessere Einschätzung der erzielten Bewertungen
und Handlungsnotwendigkeiten. Die Effizienzprüfung kann somit die Effektivität der Aufsichtsratsarbeit
weiter erhöhen und Fehlentscheidungen der Kontrollgremien möglicherweise verhindern.
I. Einleitung
Eine regelmäßige Effizienzprüfung der Aufsichtsratsarbeit gehört mittlerweile zum Instrumentarium guter Corporate Governance. Zahlreiche Unternehmen folgen den Empfehlungen zur regelmäßigen Durchführung der Effizienzprüfung, die sich beispielsweise im Deutschen Corporate Governance Kodex sowie in zahlreichen Public Corporate Governance Kodizes finden. Kreditinstitute sind zur Durchführung sogar gesetzlich verpflichtet.
Eine Effizienzprüfung wird niemals vollständig Defizite in der Aufsichtsratsarbeit verhindern können, sie sollte jedoch die Wahrscheinlichkeit von Problemen deutlich senken. Betrachtet man die Vorgehensweisen und inhaltlichen Schwerpunkte aktuell durchgeführter Effizienzprüfungen bzw. diskutiert diese mit Mandatsträgern, zeigen sich die Schwächen aktueller Ansätze: Der Schwerpunkt zahlreicher Effizienzprüfungen liegt häufig entweder ausschließlich auf formalen Aspekten der Gremienarbeit oder ausschließlich auf wenig strukturierten und sozial stark beeinflussten Beschreibungen der Gremienarbeit. Dies ist insofern überraschend, da die Wissenschaft bereits vielfach aufgezeigt hat, dass meist andere Faktoren entscheidend sind. Zudem wird selten versucht, Muster hinter möglichen Defiziten der Gremienarbeit zu erkennen, obwohl sich regelmäßig ähnliche Probleme zeigen, die meist auf typische Konflikte zurückzuführen sind und letztlich negative Dynamiken innerhalb der Gremien verursachen. Das aktive Managen dieser potenziellen Konflikte sollte stets im Fokus der Gremienarbeit stehen. Eine entsprechend ausgerichtete Effizienzprüfung kann dabei ein wichtiger Baustein sein.
Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden zunächst typische Konflikte und negative Dynamiken der Gremienarbeit beschrieben. Darauf aufbauend hat das European Center for Board Efficiency (ECBE) mit wissenschaftlich fundierten Methoden vier Board Performance-Indikatoren entwickelt. Hierzu wird aufgezeigt, wie diese im Rahmen von Effizienzprüfungen berücksichtigt werden können.
II. Konflikte und negative Dynamiken der Gremienarbeit
Auf der Grundlage des aktuellen Stands empirischer Aufsichtsratsforschung können vor allem die folgenden vier
Kategorien von Konflikten und negativen Dynamiken der Aufsichtsratsarbeit eruiert werden.
Die erste Kategorie betrifft die Zusammenarbeit innerhalb des Gremiums. Hier sind vor allem ein Shared Information Bias sowie pluralistische Ignoranz bekannte Vorkommnisse. Ein Shared Information Bias beschreibt den Umstand, dass eher Informationen im Gremium diskutiert werden, die der Mehrzahl der Gremienmitglieder bekannt sind, als Informationen einzelner Mitglieder, die jedoch eventuell werthaltiger sind. Diese Tendenz kann vor allem „Blind Spots“ hervorrufen. Pluralistische Ignoranz beschreibt eine Dynamik, bei der einzelne Gremienmitglieder ihre Meinung nicht äußern, da sie annehmen, dass diese stark von den Meinungen der weiteren Mitglieder abweicht. Durch die Zurückhaltung wird nicht erkannt, dass ggf. weitere Aufsichtsräte diese Meinung teilen. Ursachen der genannten Dynamiken sind insbesondere ein destruktives Arbeitsklima, eine mangelnde Einbindung von Einzelmeinungen sowie unzureichende Leadership- Fähigkeiten der/des Aufsichtsratsvorsitzenden.
Die zweite Kategorie bezieht sich auf die Strukturen und Prozesse der Gremienarbeit. Fehlen entsprechende Rahmenbedingungen, kann es schnell zu ineffizienten und fehlerhaften Abstimmungs- und Entscheidungsprozessen in Gremien kommen. Beispielsweise werden einzelne Themen aufgrund unklarer Verantwortlichkeiten nicht ausreichend diskutiert. Daneben sind eine ungenügende Anzahl von Sitzungen, eine fehlerhafte Zeitallokation auf einzelne Themen sowie eine inadäquate Einrichtung von Ausschüssen häufige Ursachen für ineffektive Prozesse.
Die dritte Kategorie betrifft den Umfang der Diversität des Gremiums. Bei geringer Diversität besteht vor allem das Risiko habitueller Routinen sowie des Groupthink. Habituelle Routinen entstehen, wenn aktuelle Vorgehensweisen nicht hinterfragt werden. Treffen diese eingespielten Routinen auf neue Unternehmenssituationen oder Entscheidungsinhalte, kommt es häufig zu fehlerhaften Einschätzungen durch das Gremium. Bei der als Groupthink bekannten Dynamik gehen aufgrund übermäßiger Konformität des Gremiums die individuellen Sichtweisen der Mitglieder verloren. Die aufgezeigten Risiken sind vor allem bei Gremien zu finden, die ein geringes Maß an Diversität von Erfahrungen und Persönlichkeitsmerkmalen, wie beispielsweise eine unzureichende Integration differenter Fach- und Industrieexpertise sowie geringe demografische Differenzierungen, aufweisen.
Die vierte Kategorie bezieht sich auf die Zusammenarbeit des Gremiums mit wesentlichen Stakeholdern und
dabei vor allem auf die Ausgestaltung der verschiedenen Abstimmungs- und Informationskanäle. Beispiele für wichtige Stakeholder sind der Vorstand, der Wirtschaftsprüfer sowie andere interne Experten (z.B. Compliance-Verantwortliche). Ohne effektive Abstimmungs- und Informationskanäle können auf Dauer mögliche Fehlentscheidungen des Aufsichtsrats nicht verhindert werden, da keine ausreichende Informationsbasis gegeben ist bzw. bestimmte Sachverhalte überhaupt nicht zum Aufsichtsrat durchdringen.
III. Performance-Indikatoren zur Sicherung der effektiven Gremienarbeit
Zur frühzeitigen Erkennung der genannten Konflikte und negativen Dynamiken sollte eine Effizienzprüfung entsprechende Muster in der Gremienarbeit analysieren. Dafür wurden auf Basis von Gremienbefragungen und durchgeführter Effizienzprüfungen vier Performance-Indikatoren abgeleitet, die sich aus unterschiedlichen Einflussgrößen ergeben. Die Ausprägungen dieser Einflussgrößen können mittels der bei Effizienzprüfungen typischerweise verwendeten Fragebögen abgeleitet werden. Die Evaluationsfragen sind dabei nicht zwangsläufig neu. Vielmehr schafft die zielgerichtete Verknüpfung und Zuordnung der Fragen zu den vier Performance- Indikatoren eine neue Qualität der Effizienzprüfung.
Der Board Collaboration Indicator beurteilt die Zusammenarbeit innerhalb des Gremiums, um zielgerichtete Diskussionen und Entscheidungsprozesse zu gewährleisten. Durch die Bewertung des Arbeitsklimas, der Einbindung von Einzelmeinungen sowie der Leadership-Fähigkeiten der/des Aufsichtsratsvorsitzenden können die Aufsichtsratsarbeit reflektiert und Verbesserungspotenziale aufgezeigt werden.
Mithilfe des Board Process Indicator wird die zielkonforme Ausgestaltung der Strukturen und Prozesse des Aufsichtsrats beurteilt. Die Analyse der Organisation und Methoden des Gremiums sowie die Beurteilung, ob beispielsweise die Anzahl bzw. Dauer der Sitzungen zweckmäßig oder die Einrichtung der Ausschüsse zielgerichtet ist, helfen bei der Identifizierung potenzieller Handlungsnotwendigkeiten.
Der Board Diversity Indicator analysiert die Diversität von Erfahrungen und Persönlichkeitsmerkmalen des Aufsichtsrats Aufsichtsrats. Da eine vielfältige Heterogenität des Gremiums die Entscheidungsqualität verbessert, werden mithilfe des Indikators die Integration differenter Fachexpertise, demografische Differenzierungen sowie die Integration von Führungskräften differenter Industrien analysiert.
Der Stakeholder Relation Indicator beurteilt die Zusammenarbeit des Gremiums mit wesentlichen Stakeholdern des Unternehmens. Zielsetzung ist die Bewertung, inwieweit die Abstimmungs- und Informationskanäle zu den Stakeholdern zielgerichtet ausgestaltet sind und somit eine effektive Aufsichtsratsarbeit sichergestellt wird.
Die Vorteile der Einbeziehung dieser Qualitätsdimensionen bestehen darin, dass Konfliktpotenziale der Aufsichtsratsarbeit direkt erkannt und notwendige Handlungsfelder abgeleitet werden können. Negative Dynamiken können somit rechtzeitig unterbunden werden, wodurch die Effektivität erhöht und das Risiko von Fehlentscheidungen verringert werden. Die Wertung der vier Indikatoren hängt zudem nicht von einzelnen Fragen ab, sondern ergibt sich aus der Aggregation diverser Fragen aus unterschiedlichen Themenbereichen, die den Gremienmitgliedern im Zuge der Effizienzprüfung gestellt werden. Die Diskussion im Gremium ist somit deutlich handlungsleitender möglich als auf alleiniger Basis umfangreicher Detailfragen.
Mittels der vier Indikatoren können Handlungsnotwendigkeiten der Gremienarbeit systematisch identifiziert werden. Allerdings fehlt dem Aufsichtsratsgremium typischerweise ein robuster Referenzpunkt zur Einordnung der Ergebnisse. Dadurch besteht das Risiko, dass die Resultate der Effizienzprüfung durch die Aufsichtsräte über- oder unterbewertet und folglich falsche Schlüsse gezogen werden. Zur Ergebniseinordnung der Performance-Indikatoren sollten deshalb Vergleichsnormen herangezogen werden. Diese werden auf Basis vergangener Effizienzprüfungen eruiert und mittels individueller Befragungen der Gremien validiert.
IV. Fazit
Zur Gewährleistung einer effektiven Aufsichtsratsarbeit sollten Gremien mögliche negative Dynamiken und ihre Ursachen mithilfe fragebogengestützter Effizienzprüfungen systematisch beleuchten. Unter Nutzung der genannten vier Performance- Indikatoren und entsprechender Vergleichsnormen kann dies gelingen. Aus einer Effizienzprüfung könnte somit tatsächlich eine Effektivitätsprüfung werden. Aufsichtsratsgremien werden auf diese Weise deutlich besser dabei unterstützt, fehlerhafte Entwicklungen bei der Gremienarbeit zu verhindern, als bei der aktuell häufig zu findenden „Tick the Box“-Mentalität im Bereich der Corporate Governance.