Investors4Diversity Trendanalyse

Der Einfluss von Investoren auf die Diversität in deutschen Aufsichtsräten und Vorständen

Investors4Diversity-Trendanalyse

Der Einfluss von Investoren auf die Diversität in deutschen Aufsichtsräten und Vorständen

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„Immer mehr Investoren geben sich nicht mehr mit einer schlichten Einhaltung gesetzlicher Vorgaben, wie etwa der Frauenquote von 30 Prozent im Aufsichtsrat, zufrieden. Sie erwarten, dass Unternehmen Diversität systematischer in der Führung verankern.“

Die aktuelle Investors4Diversity-Studie von Dr. Philine Sandhu, Daniela Heyer und Dr. Gabriele Apfelbacher und die vielfältigen Diskussionen bei der Veranstaltung mit Bundesgleichstellungsministerin Lisa Paus, Investorinnen und Investoren, Vertreterinnen und Vertreter aus Unternehmen und Wissenschaft sowie von Rating Agenturen im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zeigen:

  • Das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer ausgewogeneren Zusammensetzung deutscher Aufsichtsräte und Vorstände ist sichtbar

  • Die Anforderungen, die Investorinnen und Investoren an die Diversität bei der Zusammensetzung der Spitzengremien deutscher börsennotierter Unternehmen stellen, sind zuletzt deutlich gestiegen.

  • Dennoch sind die Potenziale von Diversität für gute Governance und ESG-Performance noch stärker zu heben.

Bildnachweis: © Kira Hofmann/photothek

Executive Summary

Die Anforderungen, welche Investoren bei der Zusammensetzung der Spitzengremien deutscher börsennotierter Unternehmen in puncto Diversität stellen, sind seit 2020 deutlich gestiegen. Ein Großteil der Investoren macht insbesondere Geschlechterdiversität im „Board” zu einem Anlagekriterium für Beteiligungen an börsennotierten Unternehmen. Während im Jahr 2020 nur die Hälfte der 30 einflussreichsten Investoren im deutschen Markt Diversitätsanforderungen an ihre Portfoliounternehmen stellte, sind es 2022 schon 73 Prozent. Ein vertiefter Blick in die Ausgestaltung der Anlagerichtlinien zeigt zudem, dass sich immer mehr Investoren nicht mit einer schlichten Einhaltung gesetzlicher Vorgaben, wie etwa der Frauenquote von 30 Prozent im Aufsichtsrat, zufriedengeben. Ausgehend von einem weiteren Diversitätsverständnis über das Kriterium Geschlecht hinaus erwarten sie, dass Unternehmen glaubhaft dafür eintreten, Diversität insgesamt systematischer in der Führung zu verankern.

Nicht ganz so positiv sieht es jedoch bei der konkreten Umsetzung der Diversitätsanforderungen aus: Nach wie vor nutzen Investoren ihre Stimmrechte zu wenig, um auf die Diversität in deutschen Aufsichtsräten Einfluss zu nehmen. Eine Erklärung liegt in der immer noch schwierigen Datenlage zum Diversitätsstatus in den Unternehmen, die es den Investoren erschwert, die tatsächliche Erfüllung etwaiger Anforderungen durch die Unternehmen zu überprüfen. Notwendige Informationen zu einzelnen Diversitätsaspekten in Unternehmen, beispielsweise zur Diversitätsstrategie, zum Grad der Zielerreichung oder zur Berücksichtigung von Diversitätskriterien bei der Rekrutierung von Aufsichtsrats- und Vorstandsmitgliedern, sind häufig nicht zugänglich. Die bestehenden gesetzlichen Offenlegungspflichten, die eine ausreichende Informationsversorgung sicherstellen könnten, sind in Deutschland teilweise immer noch mangelhaft oder wenig praxistauglich. Eine gewisse Verbesserung der Transparenz wird durch die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der EU erwartet, deren Bestimmungen für börsennotierte und bestimmte andere große Unternehmen erstmals in der Berichterstattung für das Geschäftsjahr 2024 Anwendung finden sollen.

Die Nutzung der verschiedenen Einflussmöglichkeiten, die Investoren zur Erhöhung der Diversität in deutschen Spitzengremien zur Verfügung stehen, setzt ein hohes Engagement der Portfoliomanager:innen voraus. Nur mit entsprechendem Zeitaufwand und Einsatz können sie sich einen tiefergehenden Eindruck von ihren Beteiligungsunternehmen verschaffen und Besetzungsprozesse langfristig im Blick behalten. Dass der Kreis der Portfoliomanager:innen selbst insgesamt wenig divers ist und es dadurch womöglich an einer gewissen Sensibilität für das Thema mangelt, könnte eine weitere Erklärung für das lückenhafte Engagement der Investoren sein.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer ausgewogeneren Zusammensetzung deutscher Aufsichtsräte und Vorstände angekommen ist – ein Ergebnis regulatorischer Vorgaben sowie des gestiegenen Drucks von Seiten der Investoren. Den Investoren raten wir nun, diese Strategie konsequent weiter zu verfolgen und ihren Einfluss geltend zu machen. Mit ihrem Gewicht könnten sie die immer noch recht ausgeprägte Homogenität der Führungsgremien in den deutschen börsennotierten Unternehmen durch die Berücksichtigung zusätzlicher Diversitätsdimensionen weiter aufbrechen, beispielsweise indem sie darauf drängen, mehr internationale Perspektiven oder unterschiedliche Ausbildungshintergründe einzubeziehen oder die Repräsentanz ethnischer Minderheiten zu forcieren. Diversere Führungsgremien setzen ein langfristig orientiertes Shareholder-Engagement voraus, bei dem das ganze Repertoire an Einflussmöglichkeiten, das Investoren zur Verfügung steht, auch tatsächlich ausgeschöpft wird. Neben einer möglichst konkreten Ausgestaltung der Anlagerichtlinien braucht es einen intensiven Dialog mit den Unternehmen – und eine tatsächliche Nutzung des Stimmrechts. Da in der Praxis nicht alle Diversitätsaspekte für die Analysen der Investoren operationalisiert und in schnell erfassbare Indikatoren übersetzt werden können, kommen Investoren nicht umhin, sich individuell mit tieferliegenden Diversitätsaspekten auseinanderzusetzen. Dabei empfehlen wir, insbesondere die Qualität der Auswahl- und Besetzungsprozesse für Aufsichtsratsmitglieder als Indikator für transparente und strukturierte Verfahren in den Blick zu nehmen. Langfristige Nachfolgekonzepte, ein breiter Pool möglicher Kandidat:innen, eine externe Begleitung von Auswahlprozessen durch qualifizierte Beratungsunternehmen und eine diverse Besetzung der Ausschüsse, die mit Personalfragen betraut sind, erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass nicht nach dem immer gleichen Muster rekrutiert und dadurch eine Fortsetzung des sogenannten „Thomas-Kreislaufs” verhindert wird. Den Unternehmen empfehlen wir, sich auf diese steigenden Transparenzpflichten durch die schon genannte CSRD bereits jetzt einzustellen.