Die Unabhängigkeit im Aufsichtsrat

ECBE Studie Governance Perspectives zu Anforderungen & Wirklichkeit in börsennotierten Unternehmen

ECBE Governance Perspectives zur Unabhängigkeit im Aufsichtsrat

Die Diskussion um die Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Ein substantieller Teil der Kritik institutioneller Investoren im Zusammenhang mit Aufsichtsratswahlen bezieht sich auf eine aus ihrer Sicht mangelnde Unabhängigkeit der zur Wahl stehenden Personen oder des Gesamtgremiums. Dies ist vor allem auf die Unabhängigkeitskriterien in den Abstimmungsrichtlinien institutioneller Investoren und Stimmrechtsberater zurückzuführen, die deutlich über die Unabhängigkeitsdefinition des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) hinausgehen. Die DCGK-Kriterien werden von den meisten Unternehmen der DAX-Indexfamilie zur Beurteilung der Unabhängigkeit ihrer Aufsichtsratsmitglieder herangezogen. Auch das jüngst veröffentlichte Positionspapier der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA), das Einflussfaktoren für die Einstufung als unabhängiges Aufsichtsratsmitglied aufführt, definiert Unabhängigkeitskriterien aus Sicht von Investoren.

Doch welche Angaben machen die Unternehmen aus DAX, MDAX und SDAX zur Unabhängigkeit ihrer Aufsichtsratsmitglieder? Und wie unterscheiden sich die Anforderungen und Erwartungen zur Unabhängigkeit?

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In der vorliegenden Studie haben das European Center for Board Effectiveness (ECBE) und die hkp/// group den Status-Quo der Angaben der DAX-, MDAX- und SDAX-Unternehmen zur Unabhängigkeit ihrer Aufsichtsratsmitglieder den regulatorischen Anforderungen und den Abstimmungsrichtlinien institutioneller Investoren und Stimmrechtsberater gegenübergestellt und zudem die Kriterien im DVFA-Positionspapier ergänzend herangezogen. Zur Erstellung der Studie wurden die Kompetenzprofile und weitere Angaben zur Zusammensetzung des Aufsichtsrats in den Geschäftsberichten für das Jahr 2023 ausgewertet und die regulatorischen Anforderungen mit denen der Investoren und Stimmrechtsberater verglichen. Zudem werden auch die Unabhängigkeitsforderungen an Aufsichtsräte in Österreich in einem Exkurs beleuchtet.

Regulatorischer Rahmen und Investorenerwartungen im Überblick

DCGK

Neben den gesetzlichen Vorgaben des Aktiengesetzes (AktG) zur Vermeidung von Interessenkonflikten gibt der DCGK Empfehlungen für eine angemessen unabhängige Besetzung des Aufsichtsrats und die Indikatoren, die bei einer Beurteilung der Unabhängigkeit einzelner Kandidaten zugrunde gelegt werden sollen. Gemäß Empfehlung C.6 DCGK wird die Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern in mehrfacher Hinsicht – als Unabhängigkeit von der Gesellschaft und deren Vorstand und Unabhängigkeit von einem kontrollierenden Aktionär – definiert. Für diese drei Teilunabhängigkeiten werden anschließend in den Empfehlungen C.7 bzw. C.9 Indikatoren bzw. Definitionen aufgeführt, die Einfluss auf die Unabhängigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds haben können. Der DCGK verwendet hier eine Indikatorenlösung, nach der die Einschätzung der Unabhängigkeit im Ermessen des Aufsichtsrats liegt, der die aufgeführten Indikatoren bei der Beurteilung heranziehen soll. Davon losgelöst ist Empfehlung C.12, die eine direkte Empfehlung in Bezug auf etwaige Verbindungen von Aufsichtsratsmitgliedern zu Wettbewerbern des Unternehmens enthält. Die Empfehlung des DCGK an den Anteil unabhängiger Mitglieder sieht vor, dass mehr als die Hälfte der Vertreter auf Anteilseignerseite unabhängig von der Gesellschaft und dem Vorstand sein soll. Sofern ein kontrollierender Aktionär vorhanden ist, sollen bei mehr als sechs Mitgliedern im Gremium zwei Anteilseignervertreter von diesem unabhängig sein bzw. bei sechs oder weniger Mitgliedern im Gesamtgremium ein Anteilseignervertreter. Zudem soll nach C.10 insbesondere die Position des Aufsichtsratsvorsitzes, des Prüfungsausschussvorsitzes und des Vorsitzes des Ausschusses, der sich mit der Vorstandsvergütung beschäftigt, unabhängig besetzt sein.

Investoren und Stimmrechtsberater

Die Top 20-Investoren in DAX-Unternehmen sowie die zwei großen Stimmrechtsberater Glass Lewis und ISS fordern, sofern eine Angabe dazu gemacht wurde, ebenfalls, dass der Aufsichtsrat auf der Anteilseignerseite mehrheitlich unabhängig besetzt sein soll. Im Falle eines kontrollierenden Aktionärs sehen hier Investoren jedoch überwiegend einen Mindestanteil unabhängiger Mitglieder in Höhe von einem Drittel der Anteilseignerseite vor, ungeachtet der Größe des Gesamtgremiums. Wie im DCGK werden auch in den Abstimmungsrichtlinien der Investoren und Stimmrechtsberater Kriterien aufgeführt, die genutzt werden, um die Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern zu beurteilen. Im Gegensatz zum DCGK formulieren viele Investoren ihre Erwartungen hier jedoch so, dass ein Aufsichtsratsmitglied bei Erfüllung eines der Kriterien zwangsläufig als nicht-unabhängig eingestuft wird und sehen hier zumindest in der Formulierung der Abstimmungsrichtlinien von einer individuellen Ermessensentscheidung des Aufsichtsrats bzw. des Investors ab. Außerdem wird schnell ersichtlich, dass die hier aufgeführten Kriterien und Definitionen der Anforderungen an die Unabhängigkeit teils deutlich strenger ausfallen als im DCGK.

DVFA-Positionspapier

Auch das kürzlich veröffentlichte DVFA-Positionspapier 2024 sieht eine feste Klassifizierung als nicht-unabhängig vor, sobald ein Aufsichtsratsmitglied Teil einer der dort aufgeführten Personengruppe ist oder eines der Kriterien erfüllt. Mit Bezug auf den Mindestanteil unabhängiger Aufsichtsratsmitglieder sieht die DVFA grundsätzlich vor, dass mehr als die Hälfte der Anteilseignervertreter unabhängig sein soll, verweist hier jedoch zusätzlich auf das Doppelstimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden, welches zu berücksichtigen sei. Insgesamt werden im DVFA-Positionspapier neun Kriterien zur Klassifizierung als unabhängig aufgeführt, die anschließend genauer spezifiziert werden und in detaillierteren und strengeren Anforderungen münden als beim DCGK.

Unabhängigkeitskriterien im Vergleich

Ehemalige Vorstandsposition

In Bezug auf die Unabhängigkeit von der Gesellschaft und deren Vorstand führt der DCGK zunächst das Kriterium einer ehemaligen Vorstandsposition in der Gesellschaft an, ohne eine ausreichende Wartefrist (Cooling-Off-Periode) durchlaufen zu haben. Im Einklang mit der gesetzlichen Vorschrift des AktG sieht der DCGK eine Wartefrist von zwei Jahren vor (§ 100 Abs. 2 Nr. 4 AktG). Einige der betrachteten Investoren und Stimmrechtsberater erwarten eine deutlich längere Cooling-Off-Periode von fünf bzw. zehn Jahren. Einzelne Investoren wie beispielsweise Deka Investment sowie das DVFA-Positionspapier gehen an dieser Stelle noch einen Schritt weiter, indem ehemalige Vorstandsmitglieder ungeachtet des Zeitpunkts ihres Ausscheidens als nicht-unabhängig eingestuft werden und für die grundsätzliche Zustimmung zur Wahl ein Verweis auf die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Cooling-Off-Periode von zwei Jahren gegeben wird. Zudem wird hier von manchen Investoren, wie auch vom Stimmrechtsberater ISS, die Wahl eines ehemaligen CEO in den Aufsichtsrat mit dem anschließenden Vorhaben, diesen zum Aufsichtsratsvorsitzenden zu wählen, nicht unterstützt. Diese Art von Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat war lange üblich in Deutschland, ist aber nun im Zusammenhang mit den Hauptversammlungen 2024 von BASF und Münchener Rück auf erhebliche Kritik von Investoren und Stimmrechtsberatern getroffen.

Geschäftliche Beziehungen

Als weiteres Kriterium nennt der DCGK geschäftliche Beziehungen zur Gesellschaft. Dieses Thema wird von Investoren und Stimmrechtsberatern ähnlich aufgegriffen, nur dass manche Investoren weitere geschäftliche Beziehungen wie Prüfungsmandate explizit nennen. Auch die DVFA stuft ehemalige Abschlussund Wirtschaftsprüfer als nicht-unabhängig ein. Zudem definieren hier vor allem die Stimmrechtsberater Glass Lewis und ISS genaue Grenzen, ab denen eine geschäftliche Beziehung als kritisch zu sehen ist. Beispielsweise legt Glass Lewis eine Umsatzgrenze von 1 % des Gesamtumsatzes fest bzw. 100.000 € für Professional Services wie Beratungsmandate. Manche Investoren legen auch für geschäftliche Beziehungen eine Art Cooling-Off-Periode fest. So sehen Deka und Union Investment beispielsweise einen fünfjährigen Zeitraum vor.

Familiäre Beziehungen

Nahe Familienangehörigkeit zu einem Vorstandsmitglied gilt gemäß DCGK ebenfalls als Einflussfaktor auf die Unabhängigkeit. Zur Definition der nahen Familienangehörigkeit wird auf die Definition nach IAS 24.9 verwiesen. Das DVFA-Positionspapier führt alle nach IAS 24.9 (a) nahestehenden Personen als nicht-unabhängig auf, wobei nahe Familienangehörige dieser Personen miteingeschlossen sind. Bei dem Kriterium persönliche Beziehungen gehen einzelne Investoren und Stimmrechtsberater ebenfalls weiter als der DCGK. Hier werden auch familiäre Beziehungen zu mandatierten Professional Services-Anbietern oder Beschäftigten des Unternehmens als kritisch gesehen. Ist ein Aufsichtsratsmitglied Mitglied der Gründerfamilie bzw. Gründer selbst, wird dies aus der Sicht mancher Investoren und Stimmrechtsberater ebenfalls als negativer Einflussfaktor auf die Unabhängigkeit des Funktionsinhabers aufgeführt.

Zugehörigkeitsdauer

Als vierter Indikator in Bezug auf die Unabhängigkeit von der Gesellschaft und deren Vorstand nennt der DCGK die Zugehörigkeitsdauer zum jeweiligen Aufsichtsgremium. Dieses Kriterium wird in den meisten der betrachteten Abstimmungsrichtlinien genannt und hier decken sich die Erwartungen in den meisten Fällen mit den im DCGK festgelegten zwölf Jahren als maximale Zugehörigkeitsdauer. Das DVFA-Positionspapier legt hier eine maximale Zugehörigkeitsdauer von drei Amtsperioden bzw. maximal zehn Jahren fest und setzt somit eine strengere Regelung. Diese Grenze entspricht damit den Abstimmungsrichtlinien der DWS Investment und Union Investment. Der längste Zeitraum in diesem Zusammenhang wird hier von MFS Investment Management für die Position eines Lead Independent Director mit 20 Jahren angegeben.

Anteilsbesitz

In Sachen Unabhängigkeit von Anteilseignern definieren institutionelle Investoren sowie das DVFA-Positionspapier ebenfalls striktere Anforderungen. Vor allem deshalb, weil nicht nur wie im DCGK die Unabhängigkeit von einem kontrollierenden Aktionär genannt wird, sondern viele Investoren auch Beziehungen zu einem Anteilseigner bzw. Anteilseigner ab einem Anteil von 10 % der Stimmrechte als negativen Einflussfaktor sehen.

Interlocking Directorships

In Empfehlung C.12 DCGK wird zudem aufgeführt, dass Aufsichtsratsmitglieder keine Organfunktion oder Beratungsaufgaben bei wesentlichen Wettbewerbern des Unternehmens ausüben sollen und nicht in einer persönlichen Beziehung zu einem wesentlichen Wettbewerber stehen sollen. Mit dem ersten Halbsatz dieser Empfehlung wird ein auch bei Investoren sehr weit verbreitetes Kriterium aufgegriffen. So genannte „Interlocking Directorships“, also das Innehaben mehrerer Organfunktionen, vor allem bei Zulieferern oder Wettbewerbern, wird von mehreren Investoren als Kriterium aufgeführt.

Weitere Aspekte

Abgesehen davon, dass die Anforderungen in den Abstimmungsrichtlinien im Vergleich zu den auch im DCGK aufgeführten Kriterien in den meisten Fällen strikter sind, führen sowohl Investoren als auch das DVFA-Positionspapier weitere Punkte auf, die aus ihrer Sicht die Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern gefährden können. Weitere Aspekte, die genannt werden, sind beispielsweise Regierungsvertreter bzw. politische Amtsträger sowie der Erhalt von höheren Krediten durch das Unternehmen. Manche Investoren sehen zudem den Erhalt von leistungsabhängiger bzw. aktienbasierter Vergütung als kritisch.

Status-Quo der Unabhängigkeit von Aufsichtsräten in DAX, MDAX und SDAX

Die meisten Unternehmen im DAX, MDAX und SDAX folgen bei der Beurteilung der Unabhängigkeit ihrer Aufsichtsratsmitglieder der Definition des DCGK. Insgesamt geben von den 136 Unternehmen, die eine auswertbare Qualifikationsmatrix veröffentlichen, 91 Unternehmen eine Unabhängigkeitseinstufung in ihrer Qualifikationsmatrix an. Ein Blick in die Geschäftsberichte 2023 und die darin enthaltenen Angaben zur Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder zeigt, dass fast alle Unternehmen einen sehr hohen Anteil ihrer Aufsichtsratsmitglieder als unabhängig einstufen.

In allen drei Indizes werden im Durchschnitt 90 % aller Anteilseignervertreter als unabhängig eingestuft. Betrachtet man die Unabhängigkeit auf Unternehmensebene, befinden sich die meisten Unternehmen folglich weit über den Anforderungen des DCGK und der Investoren, die besagen, dass mehr als die Hälfte der Mitglieder unabhängig sein soll. Dabei haben knapp 63 % der Unternehmen nach eigener Einschätzung ausschließlich unabhängige Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat.

Auch für manche Arbeitnehmervertreter wird eine Einstufung als unabhängig angegeben. Im DAX werden 40 % aller Arbeitnehmervertreter von den Unternehmen als unabhängig eingestuft, während der Durchschnitt über alle drei Indizes 35 % beträgt. Aus Investorensicht werden dagegen Arbeitnehmervertreter grundsätzlich als nicht-unabhängig oder neutral betrachtet.

Trotz der Empfehlung des DCGK zum unabhängigen Vorsitz des Aufsichtsrats sind die Aufsichtsratsvorsitzenden der DAX-Indexfamilie nicht durchgängig unabhängig. So sind nur 85 % aller Aufsichtsratsvorsitzenden in allen drei Indizes als unabhängig eingestuft. Ein Blick in die Abweichungserklärungen zu C.10 DCGK ergibt, dass hier häufig die Zugehörigkeitsdauer zu einer Einstufung als nicht-unabhängig führt. Als weitere Begründungen lassen sich direkte Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat oder auch geschäftliche Beziehungen zur Gesellschaft finden.

Das Eintrittsdatum in den Aufsichtsrat hat in Anbetracht der Empfehlung des DCGK eine geringe Auswirkung auf die Einstufung als unabhängig. Zudem ist zu erkennen, dass Aufsichtsratsmitglieder in ihrer ersten Amtsperiode ähnlich unabhängig wie Aufsichtsratsmitglieder in späteren Amtsperioden eingestuft werden. Insgesamt ist derzeit die Mehrheit der Aufsichtsratsmitglieder auf Anteilseignerseite – eine marktübliche Mandatsperiode unterstellt – in ihrer ersten Amtsperiode.

Im DAX und SDAX nähern sich ca. 7 % bzw. 3 % der Mitglieder der im DCGK festgeschriebenen maximalen Zugehörigkeitsdauer von zwölf Jahren. Im MDAX sind es 10 %. Im DAX sind rund 7 % der Anteilseignervertreter über der DCGK-Grenze und teilweise über 20 Jahre im Amt.

Trotz der überwiegenden Anwendung der Unabhängigkeitskriterien des DCGK werden im DAX und MDAX rund zwei Drittel aller Aufsichtsratsmitglieder, die länger als zwölf Jahre im Amt sind, als unabhängig eingestuft. Im SDAX werden sogar alle diese Aufsichtsratsmitglieder als unabhängig eingestuft. Hier kommen die Unternehmen trotz Überschreitung der im DCGK vorgesehenen maximalen Zugehörigkeitsdauer von zwölf Jahren zu dem Ergebnis, dass dadurch allein die Unabhängigkeit nicht gefährdet sei. In den Erklärungen zur Unternehmensführung wird dazu beispielsweise als Begründung angegeben, dass weiterhin keine Bedenken an der nötigen Distanz zum Vorstand und der Gesellschaft oder bezüglich Interessenkonflikten bestehen. In einem Fall wird zudem auf die deutlich kürzeren Amtszeiten der Vorstandsmitglieder verwiesen, durch die die Unabhängigkeit vom Vorstand gewährleistet sei.

Investorenkritik auf den Hauptversammlungen 2023 zur Unabhängigkeit

Wahl des Aufsichtsrats

Wenn Investoren die Unabhängigkeit einzelner Aufsichtsratsmitglieder oder des Gesamtgremiums auf der Hauptversammlung kritisieren, geschieht dies in der Regel bei der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern oder bei der Entlastung des Aufsichtsrats. Ist der Vergütungsausschuss nicht hinreichend unabhängig besetzt, wirkt sich das auch auf das Abstimmungsergebnis zum Vergütungssystem oder zum Vergütungsbericht aus. Betrachtet man den Tagesordnungspunkt der Wahlen zum Aufsichtsrat, so wird in etwas mehr als einem Drittel der Fälle, in denen eine Begründung zu Stimmangabe veröffentlicht ist, auch das Thema Unabhängigkeit kritisiert. Zum großen Teil wird hier vor allem die Unabhängigkeit des Gesamtgremiums als zu gering angesehen. In etwas mehr als der Hälfte der Fälle wird aber auch explizit die mangelnde Unabhängigkeit der zur Wahl stehenden Person angemerkt. Die Investoren gehen in ihrer Kritik eher selten auf die genauen Gründe ein, weshalb eine Person als nicht unabhängig angesehen wird. Unter den analysierten Kritikpunkten bei den Wahlen zum Aufsichtsrat wird jedoch am häufigsten auf Beziehungen zu großen Anteilseignern und auf die Zugehörigkeitsdauer verwiesen.

Entlastung des Aufsichtsrats

Bei dem Tagesordnungspunkt Entlastung des Aufsichtsrats findet sich ein deutlich geringerer Anteil an Kritik zur Unabhängigkeit. Inhaltlich bezieht sich die Kritik hier ausschließlich auf den Anteil der unabhängigen Mitglieder im Gesamtgremium oder in einzelnen Ausschüssen, zumal die Entlastung häufig noch für das Gesamtgremium erfolgt.

Fazit

Die derzeitigen Empfehlungen des DCGK zur Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern bleiben in der Gesamtschau hinter den Erwartungen von Investoren und Stimmrechtsberatern sowie des DVFA-Positionspapiers zurück. Dies betrifft z. B. die Anwendung einer Indikatorenlösung, nach der die Unabhängigkeit eine Ermessensentscheidung bleibt. Diese Ermessensentscheidung ist mitunter Grund dafür, dass ein sehr hoher Anteil der Anteilseignervertreter in den DAX-, MDAX- und SDAX-Unternehmen als unabhängig eingestuft wird. Diese Diskrepanz lässt sich auch in den Begründungen zur Stimmrechtsausübung der Investoren sowie dem Anteil an Kritik zur Unabhängigkeit der zur Wahl stehenden Personen oder des Gesamtgremiums erkennen.

Der Vergleich macht deutlich, dass bei der Diskussion um die Unabhängigkeit verschiedene Kernpunkte zu berücksichtigen sind:

  • Entscheidend für eine effektive Aufgabenwahrnehmung ist zuvorderst die sog. „Independence of Mind“ jedes einzelnen Aufsichtsratsmitglieds.

  • Das Aufsichtsratsgremium als Ganzes sollte von außen betrachtet als unabhängig von Gesellschaft und Vorstand anzusehen sein. Hierfür sind Indikatoren, die eine sog. „Independence in Appearance“ verneinen lassen, wichtig. Diese sog. „Independence in Appearance“ beurteilt auf Basis der Negativ-Indikatoren muss aber nicht bei jedem Mitglied im Aufsichtsrat, sondern nur überwiegend vorliegen.

  • Damit ist die Unabhängigkeit – neben anderen Kriterien – nur eines, wenngleich sehr wichtiges Kriterium, welches im Kompetenzprofil durch den Aufsichtsratsvorsitz bzw. den Nominierungsausschuss berücksichtigt werden muss.

  • Für eine strukturierte und langfristige Nachfolgeplanung im Aufsichtsrat ist daher auch (regulatorische) Planbarkeit und eine gewisse Kontinuität der Anforderungen durch die Investoren hilfreich.

Ein einheitlicher Referenzmaßstab (etwa durch den DCGK) bzw. eine weitgehende inhaltliche Nähe zu den Investorenanforderungen würde eine konsequente Nachfolgeplanung im Aufsichtsrat ebenfalls unterstützen. Der DCGK entfaltet mit seinen Empfehlungen direkte Wirkung auf die Unternehmen. Über die Entsprechenserklärung nach § 161 AktG ist anzugeben, welche Einschätzung zur Unabhängigkeit des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder vorgenommen wurde.

Das DVFA-Positionspapier hat demgegenüber lediglich mittelbaren Einfluss auf die Unternehmen. Als Standesorganisation der Investment Professionals in den deutschen Finanz- und Kapitalmärkten sind die institutionellen Investoren der Adressat des Positionspapiers. Es setzt einen Impuls zur Standardisierung der verschiedenen Unabhängigkeitsanforderungen in den Abstimmungsrichtlinien der Investoren.