Bessere Board Performance mit Personalkompetenz
Wie Personal- & Leadership-Kompetenz im Aufsichtsrat zu Good Governance beiträgt
Dr. Lukas Berger, Dr. Philine Erfurt Sandhu, Daniela Mattheus
Die Bedeutung von Personalkompetenz inAufsichtsräten hat stark zugenommen. Dies ist auch auf die Disruptions- undTransformationsprozesse in den Unternehmen zurückzuführen. Eine aktuelle ECBE-Trendanalyse zeigt, dass Personalkompetenzen imAufsichtsrat nicht nur umfassenderwerden, sondern zum wesentlichen Faktor für denUnternehmenserfolg sowie zukunftsfähiger CorporateGovernance avancieren. Der Beitrag befasst sichmit der Frage, welche Personalkompetenz im Aufsichtsrat vorhanden und genutztwerden sollte.
Die traditionelle HR-Rolle des Aufsichtsrats
Personalentscheidungen im Vorstand
Es ist schon immer als Königsaufgabe des Aufsichtsrats anerkannt, die Mitglieder des Vorstands zu bestellen – und ggf. abzuberufen. Zudem gehört zur klassischen Personalkompetenz des Aufsichtsrats auch, die jeweiligen Dienstverträge auszuhandeln, über die Vergütung in Systematik und Höhe zur beschließen sowie jährlich die Ziele und deren Erreichung festzulegen. Dabei soll die Vergütung die Vorstandsmitglieder incentivieren, ihr Bestes zur Umsetzung der Strategie und der langfristigen Unternehmensentwicklung beizutragen.
Insbesondere bei Vorstandsbesetzungen ist damit auch eine Organisationsaufgabe inhärent: die Entscheidung über die Struktur des Vorstandes, also Anzahl der Vorstandsmitglieder sowie die Ressortzuteilung. Beides ist bestenfalls Grundlage eines Anforderungsprofils zum Start eines professionellen Besetzungsverfahrens für eine vakante Vorstandsposition. Idealiter greift das Gremium in einem solchen Fall auf eine bestehende, weil schon auf Langfristigkeit angelegte und entwickelte Nachfolgeplanung zurück. In der Regel greift das Aufsichtsratsplenum bei diesen Themen auf die Arbeit von Ausschüssen zurück: den Präsidial- oder Personalausschuss einerseits und den Vergütungs(kontroll)ausschuss andererseits.
Personalentscheidungen im Aufsichtsrat
Ähnlich sollte es sich mit dem Prozess zur Nominierung von Aufsichtsratsmitgliedern verhalten. Dieser wird – zumindest in börsennotierten Unternehmen – ganz wesentlich vom sog. Nominierungsausschuss geführt, welcher idealiter auf Basis eines vom Aufsichtsrat verabschiedeten Kompetenzprofil für das Plenum und seine jeweiligen Ausschüsse konkrete Profile für etwaige vakante Aufsichtsratspositionen erarbeitet hat. Freilich – anders als bei Vorstandsbesetzungen – wird bei der Auswahl von Aufsichtsratskandidaten noch nicht immer gleichsam professionell agiert. Noch zu oft wird der Eindruck erweckt, dass die Besetzung aus Netzwerken heraus erfolgt und die Kompetenz und der fachliche und persönliche „Fit“ für das Aufsichtsratsgremium nicht im Vordergrund steht. Das Schlagwort „Vertrauen vor Kompetenz“ wird hierbei häufig pointiert in den Raum geworfen. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit muss jedoch im Sinne einer Kulturentwicklung im Gremium bewusst aufgebaut werden.
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Auswirkungen der ESG-Debatte auf die Aufsichtsratsarbeit
Talentmanagement und Personalstrategie als erweiterte Kompetenzen
Zur allgemeinen Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats gehört es seit jeher, sich mit der klassischen Personalplanung des Vorstandes zu befassen. Fragen der Unternehmenskultur und Ethik sind – als Bestandteil eines wirksamen Compliance-Managements – Gegenstand der Erörterungen im Aufsichtsrat. Doch mit der aktuellen ESG-Debatte und den wirtschaftlichen Herausforderungen befinden sich die Unternehmen aus HR-Sicht vor einem völlig neuen Szenario: Personalthemen wie Fachkräftemangel, Fluktuation, Mitarbeitererwartungen etc. werden zu einem Top-Risiko auf der unternehmerischen Risikolandkarte. Damit sind Fragen der Personalstrategie, des Talentmanagements und wie Generationenübergreifend miteinander im Sinne des Unternehmenserfolgs gearbeitet werden kann, gleichsam Top-Themen im Aufsichtsrat. Über die klassischen HR-Werkzeugkasten hinaus, erfordern die disruptiven Veränderungen neue Personalkonzepte, die das Unternehmensbild und die -kultur prägen. Hierzu sollte sich der Aufsichtsrat informieren und ggf. auch in Personal- oder ESG-Ausschüssen diskutieren.
Leadership als essenzieller Bestandteil der Personalaufgabe und von Good Governance
Neben den oben genannten (neuen) Personalthemen im Aufsichtsrat ist eine Aufgabe und damit Kompetenz im Gremium heute besonders essentiell: Leadership! Mit Leadership ist die Fähigkeit gemeint, die Zusammenarbeit in den Gremien bewusst so miteinander zu gestalten, dass tragfähige Entscheidungen zur Zukunftssicherung des Unternehmens geschaffen werden. Was so trivial klingt, ist dennoch nicht selbstverständlich. Gerade heute sind die Themen im Aufsichtsrat komplex, vielschichtig, teils widersprüchlich und unvorhersehbar. Sie müssen in wenig Zeit durchdrungen werden, um dem zunehmenden Anspruch als Sparringspartner gegenüber dem Vorstand gerecht zu werden. Ohne den Anspruch an eine qualitativ gute Zusammenarbeit im Inhalt und in der Ausgestaltung gelingt das nicht.
Leadership im Aufsichtsrat ist dabei nicht nur die Frage eines HR-Experten oder allein Aufgabe der/des Aufsichtsratsvorsitzenden. Sie setzt ein Höchstmaß an Souveränität eines jeden Mitglieds voraus - etwa in drei wesentlichen Aspekten:
Selbst-Bewusstheit erlangen:
Die bewusste Gestaltung einer konstruktiven Zusammenarbeit im Gesamtgremium basiert auf hoher Selbst-Bewusstheit und Reflexionsfähigkeit. Schon der Ökonom und Vater der modernen Managementforschung, Peter Drucker, schrieb: „You cannot manage other people unless you manage yourself first.“ Es geht um die Fähigkeit, die eigenen Muster im Denken und Handeln und die eigenen mentalen Modelle zu kennen, hinterfragen zu können und die eigenen Reflexe und Emotionen wahrzunehmen. Erst dann sind wir fähig unsere Reaktion bewusst zu wählen und einen sachlichen Diskurs im Aufsichtsrat auch in herausfordernden Situationen zu ermöglichen.
Beziehungen aktiv gestalten:
Effektive Gremienarbeit setzt eine konstruktive Gestaltung der Zusammenarbeit voraus, für die alle Mitglieder gleichermaßen einen Beitrag leisten. „You cannot compete externally, if you cannot collaborate internally“, schreibt der amerikanische Richter und Autor Jim Tamm, um die hohe Bedeutung von Kollaboration für die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu unterstreichen. Es geht um Offenheit für andere Sichtweisen, um Lösungsorientierung und um die Bereitschaft, die Qualität der Zusammenarbeit immer wieder zu reflektieren. Nur so kann Vertrauen im Gremium aufgebaut werden.
Das Wir in den Fokus stellen:
Jedes Aufsichtsratsmitglied ist dem Interesse des Unternehmens verpflichtet, nicht seinem persönlichen. Es geht um die Verantwortung für das Unternehmen, seine Mitarbeitenden, seine Kunden und seine Aktionäre – aber auch zunehmend um eine Verantwortung für Natur und Gesellschaft. Das bedeutet für die Aufsichtsratsarbeit, unbequeme Themen anzusprechen, anstelle sich eine Komfortzone im Gremium zu schaffen. Es verlangt ebenso, mit allen Stakeholdern des Unternehmens auf Augenhöhe umzugehen.
All dies zeigt, dass die persönlichen Eigenschaften der Kandidaten wie Integrität, kritisches Denken, Teamfähigkeit und Kommunikation mindestens ebenso entscheidend sind wie fachliche Expertise und Erfahrung. Wie Soft Skills abgebildet und richtig bewertet werden können, ist eine besondere Herausforderung bei der Zusammensetzung des Gremiums – vor allem für den/die Aufsichtsratsvorsitzende/n.
Die Rolle der Aufsichtsratsvorsitzenden
Dem/der Aufsichtsratsvorsitzenden kommt bei alledem unzweifelhaft eine besondere Rolle zu. Gerade durch Moderations- und Leadershipkompetenz setzt er/sie den Ton für die Zusammenarbeit im Aufsichtsrat, zwischen Aufsichtsrat und Vorstand und damit auch in das Unternehmen hinein. Dies verlangt eine Orchestrierung auf Augenhöhe und geht nicht immer ohne Reibung. Im Aufsichtsrat ist weder der Zwang zur Harmonie zielführend, wo Widersprüche und Spannungen keinen Platz finden dürfen. Ebenso dürfen schwierige Themen nicht zugunsten eines Einzelinteresses aufgelöst werden. Denn am Ende muss eine gemeinsame Entscheidung getroffen werden, die möglichst von allen getragen und auch dem Vorstand vermittelt werden kann. Gute Personalführung und Leadership im Vorsitz ist dann geschaffen, wenn im Aufsichtsrat eine Kultur der „psychologischen Sicherheit“ geschaffen ist. Der/die Vorsitzende lebt dafür Offenheit, Aufrichtigkeit, Reflexionsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft vor
Fazit: Personal- und Leadership-Kompetenz in Aufsichtsräten heute essentiell
Personalkompetenzen haben sich im Aufsichtsrat deutlich aufgefächert, Leadership eines jeden Aufsichtsratsmitglieds ist dabei für gute Governance unerlässlich geworden. Empirisch betrachtet gibt es zur aktuellen Ausprägung der Personalkompetenz im Aufsichtsrat jedoch unterschiedliche Ergebnisse. Eine von ECBE durchgeführte Analyse der erstmals veröffentlichten Qualifikationsmatrizen zeigt, dass zwei Drittel der Aufsichtsräte der DAX-Indexfamilie über Personalkompetenz verfügen – laut Selbsteinschätzung. Demgegenüber zeigt eine aktuelle Studie (Weinert 2022), dass nur vier Prozent der Aufsichtsräte aus DAX-Unternehmen über vertiefte HR-Expertise verfügen. Diese unterschiedlichen Ergebnisse verdeutlichen, dass es ein genaueres Verständnis über Personal- und Leadership-Kompetenz im Aufsichtsrat braucht. Dieser Beitrag soll einige Anregungen zur Debatte geben.